Blogger und die wahre Welt

20.6.2007 von maria

Häufig habe ich den Eindruck, dass einige Blogger und andere Leute, die vorne auf der Welle des technischen Fortschritts reiten (im folgenden „Web-Elite“ genannt), sich völlig von der realen Welt entfernt haben. Sie leben eingeigelt in ihrer Community und halten das, womit sie sich tagtäglich beschäftigen, für Standard.

  • Ein Beispiel: Vor einiger Zeit habe ich eine Diskussionsveranstaltung besucht, in der es um Urheberrecht in der digitalen Welt und die Möglichkeiten alternativer Vergütungsmethoden für Künstler (z.B. Kulturflatrate etc.) ging. Dort wurde die Meinung vertreten, das normale Radio sei am Aussterben und in naher Zukunft würden sowieso alle Menschen nur noch Internetradio hören. Denn es gäbe ja schon jetzt kaum noch Menschen, die einfach ihren Radioapparat anschalten. In dem Moment kam ich mir äußerst unmodern vor, da ich selbst, obwohl fleißiger Internetnutzer, noch nie Webradio, Podcasts oder ähnliche Dinge genutzt hatte. Am nächsten Tag habe ich mir dann sofort einen Account bei einem Webradio zugelegt, konnte mich jedoch nicht so richtig damit anfreunden. Es war mir einfach zu umständlich, erst genau meinen Musikgeschmack auszudifferenzieren. Ich möchte einfach das Radio anschalten und dann gute Musik hören. (In vielen Gegenden Deutschlands mag das ein Problem sein, aber hier in Berlin gibt es zum Glück einige Radiostationen, die nicht nur die größten Hits aller Zeiten spielen.) Das zweite Problem war, dass ich immer meinen Laptop mit in den Raum nehmen musste, in dem ich Musik hören wollte. Wie überflüssig, wo sich doch sowieso in jedem Zimmer ein Radioapparat befindet. Zudem störte mich, dass ich mich registrieren sollte. Warum muss ich persönliche Daten angeben, um Musik zu hören? So hatte sich mein Ausflug zum Internetradio mangels Praktikabilität relativ schnell wieder erledigt. Und auch wenn ich mich umschaue, läuft in jedem Laden, Auto und bei fast jedem zu Hause kein Internetradio.
  • Ein anderes Beispiel: Heute hat sich Malte von Spreeblick darüber gewundert, dass StudiVZ die meistbesuchteste deutsche Website ist und so wenig Studenten Blogs nutzen. Ehrlich gesagt, mich wundert das nicht. Viele -durchaus akademisch gebildete- Freunde können mit den Begriffen Blog oder Feedreader nichts anfangen. Das, was sie im Internet interessiert sind Google, E-Mails und gegebenenfalls noch die Onlineausgabe einer Tageszeitung. Sie nutzen StudiVZ, um ehemalige Studien- oder Klassenkameraden oder Bekannte wiederzuentdecken oder mit ihnen in Kontakt zu bleiben. Und mittlerweile sind auch so viele Leute bei StudiVZ registriert, dass es ein Selbstläufer geworden ist. Als nicht VZler erntet man hin und wieder schon verwunderte Blicke. Es ist einfach Normalität für den Studi-Mainstream.

Wenn sogar gebildete Menschen nichts mit derartigen Begriffen anfangen können, wie sieht es dann erst bei den 46, 4 % der Bevölkerung aus, die keinen Schulabschluss oder nur einen Hauptschulabschluss haben ? Fakt ist, der Durchschnittsdeutsche liest Boulevardzeitungen, hört Radiosender, die die größten Hits der 70 er, 80 er, 90 er und von heute spielen und interessiert sich nicht für abgehobene Blogeinträge mit intellektuellem Anspruch.

Und was ist mit den vielen älteren Menschen? 45, 3 % der Deutschen sind älter als 50 Jahre, davon nutzen nur 23,3 % das Internet (Studie des AGOF). Und wer über 50 setzt sich ernsthaft mit den Neuerungen des Internet auseinander? Viele Menschen orientieren sich an den gewohnten Mechanismen und sind nicht mehr bereit, sich auf neue Dinge einzulassen. Sicher, die Generation der heute über 50 jährigen wird irgendwann aussterben. Aber die technische Entwicklung schreitet schnell voran und es gibt immer einen großen Teil der Bevölkerung, dem diese nicht nahezubringen ist.

Das heißt nicht, dass ich der Web-Elite ihre Bedeutung absprechen will. Ohne sie gäbe es die Fortschritte, die irgendwann zum Mainstream werden, nicht. Ich halte lediglich einige Verhaltensweisen und Diskussionen für zu abgehoben, da sie an der Realität vorbeigehen und für den normalen Menschen nicht relevant sind.

Vielleicht täte da ein gelegentlicher Ausflug in die reale Welt ganz gut.

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